Nicht zuletzt haben die Potenziale des digitalen Wandels die Möglichkeitsräume vieler Menschen verändert – und erweitert. Immer mehr Menschen aus den Ballungszentren entscheiden sich für ein Leben auf dem Land. Gute Ideen, der Glaube an die Kraft der Gemeinschaft und schnelles Internet führen zu neunen Lebens- und Arbeitsmodellen auf dem Land. Kurz: Menschen müssen nicht mehr unbedingt dort wohnen wo sie arbeiten. Der Begriff „Digitale Nomaden“ hat sich etabliert und erzählt die Extremform orts- und zeitunabhängigen Arbeitens. Der Ruf nach „Recht auf Homeoffice“ beschreibt das Bedürfnis vieler Arbeitnehmer. Eine Herausforderung für Arbeitgeber – eine große Chance für mehr persönlichen Gestaltungsraum.
Das Leben lebt von „Dritten Orten“
Dritte Orte sind (fast) überall. In der Stadt kann es ein Kiosk sein, an dem sich Menschen treffen, sich kennen lernen und wiederkommen. Auf dem Land verschwinden sie zunehmend. Die Gasthöfe schließen, die Kirche hat oftmals keinen relevanten Stellenwert mehr und das Dorfzentrum kämpft mit Leerstand. Keine gute Basis für Treffen und soziale Gemeinschaft.
Was es braucht, sind neue Dritte Orte und vielerorts sind großartige Projekte entstanden. Viele Pioniere machen sich auf, um Bibliotheken oder neue selbst organisierte Dorfläden auch zu Orten der Gemeinschaft und der Gespräche zu entwickeln, oder gar leerstehende, oft ortsbildprägende Immobilien neu zu nutzen. Motoren dieser Entwicklung sind oftmals junge Menschen aus den Städten. Ideenreich, idealistisch, aber auch realistisch.
Ein Beispiel: Coconat
Coconat steht für Gemeinschaft und konzentriertes Arbeiten in der Natur (community and concentrated work in nature). Soweit nachvollziehbar. Arbeiten in der Natur klingt erstmal sehr verlockend. Aber Coconat will und kann mehr.
Coconat steht exemplarisch für die vielen regionalen und neuen Entwicklungen die eines eint: der Begriff “wirkungsorientiertes Unternehmen“, und meint damit, das positive gesellschaftliche Effekte grundsätzlich einen höheren Stellenwert als Gewinnmaximierung einnehmen.
Was bedeutet das konkret? Unternehmen wie Coconat lenken den Blick nicht ausschließlich auf ihr eigenes Business, sondern denken ganzheitlich, integrativ und auf die Gesamtregion bezogen. Das Thema ländliche Entwicklung erhält somit eine neue ergänzende Dimension der Möglichkeiten und der Nachhaltigkeit. Janosch Dietrich, einer der Gründer von Coconat erklärt es genauer: „Wir fördern ländliche Entwicklung durch unser innovatives Tourismusmodell, das Workation, Coworking und Coliving miteinander vereint. Coworking beschreibt eine flexibel zu nutzende Infrastruktur wie Schreibtische und Internet in einem Gemeinschaftsbüro. Coworking Spaces gibt es in Städten zuhauf und auch im Coconat können Menschen aus der Region denen zuhause statt einsamem Homeoffice einen angenehmen Ort zum Arbeiten finden. Workation beschreibt einen Kurzzeitaufenthalt zu Arbeitszwecken auf dem Land. Einzelpersonen oder kleine Teams ziehen sich für einige Tage bis zwei Wochen aufs Land zurück um sich ohne Ablenkungen voll auf Ihr Projekt konzentrieren zu können. Oft gefällt es ihnen dann so gut, dass sie immer wieder kommen und manchmal mit dem Gedanken zu spielen beginnen ganz in die Region zu ziehen. Beim Coliving geht es um längere Aufenthalte ab zwei Wochen z.B. von Digitalen Nomaden ohne festen Wohnsitz, oder Menschen die das Landleben einmal ausprobieren möchten. Gerade in Zeiten von COVID-19 in denen viele den als bedrohlich und unattraktiv empfundenen Städten entfliehen wollen, ist dieses Angebot für viele attraktiv und nicht wenige bleiben anschließend für immer da.“
Das Plus für die Region
Coconat ist somit ein wegweisendes Modell eines Stadt-Land-Hybrids. Das Team und die Coworker wohnen in der Region, die Workation Gäste und Coliver kommen für kurze oder längere Zeit als Bewohner auf Zeit. Der historische Gutshof ersetzt das fehlende Dorfgemeinschaftshaus: Wahlen und Ortsbeiratssitzungen finden hier statt, die Feuerwehr und das Dorffest haben auf dem Gelände ihren festen Platz. Gleichzeitig ist es ein internationaler und sehr digitaler Ort an dem Tradition und Innovation ein fruchtbares Miteinander bilden. Das sozialunternehmerische, auf gesellschaftliche Vielfalt ausgerichtete Unternehmensmodell ist mittlerweile ein großer Arbeitgeber in der Region. Bis heute haben 10 neue Unternehmen ihren Sitz in dem 80 Seelen Dorf gefunden und vervielfachen die Wirkungen der Erstansiedlung.
Das Konzept multipliziert sich
Um das Unternehmen herum entstanden mit der Zeit immer mehr Projekte. Es war daher naheliegend, gemeinsam mit den Gemeinden, der lokalen Zeitung und zivilgesellschaftlichen Akteuren den Smart Village e.V. zu gründen. Auf Initiative der Medienanstalt Berlin Brandenburg und mit finanzieller Unterstützung durch das grw-Kooperationsnetzwerk der Investitionsbank des Landes Brandenburg.
Das Ziel ist es, mit smarten digitalen wie analogen Lösungen das Leben und Arbeiten auf dem Land noch besser zu gestalten, indem Stärken wie auch künftige Herausforderungen herausgearbeitet werden.
Seit 2018 sind auf diese Weise eine Vielzahl an weiteren Initiativen neu entstanden oder in die Region gezogen. Gönnen Sie sich den Blick in einige Beispiele:
- das Medienkompetenzprojekt Wir zu Lande setzt sich mit Bürgerjournalismus und Demokratiestärkung auseinander
- Ein Makerspace verfolgt das Ziel, das lokale Handwerk stärken
- der Think & Do Tank Neuland 21 forscht und entwickelt Projekte der Ländlichen Entwicklung
- die Fläminger Kreativsause macht den Hohen Fläming für eine Woche zum Mittelpunkt der deutschen Maker-Szene und auf dem
- Smart Village Campus in Wiesenburg soll zukünftig die Kreativwirtschaft einen Lebens- und Arbeitsraum finden
Eine App als Highlight
Von besonderer Bedeutung ist die Entwicklung der Smart Village App durch das lokale Unternehmen Smart Village Solutions. Das Besondere: Sie ist „open source“ organisiert und ermöglicht eine Reihe verschiedener Funktionen wie z.B. einem Veranstaltungskalender, Zugang zu journalistischen, lokalen Inhalten verschiedener Medien, oder Informationen zu Sehenswürdigkeiten und Restaurants. Ein großer Teil der Bevölkerung und Touristen verwendet die App bereits, demnächst steht die Übertragung der App in bisher 10 andere brandenburgische Gemeinden an und auch die Erledigung von Verwaltungsdienstleistungen soll zeitnah in die App integriert werden.
Vernetzung – Vernetzung – Vernetzung
Die durch das Projekt Coconat ausgelösten Effekte in der Region wurden auf prominenter Ebene wahrgenommen. Das Projekt schaffte es bis in die internationale Presse wie der New York Times, Le Monde und El Commercial. Preise wie der Deutschen Tourismuspreis 2019 wurden abgeräumt und die Wirtschaftsförderungen anderer Regionen begannen sich zu interessieren.
Der Report 20/2020 “Aufsteigerregionen in Deutschland” des Instituts der deutschen Wirtschaft stellt fest: „Die Aufsteigerregion im letzten Jahrzehnt war die Raumordnungsregion Havelland-Fläming im westlichen Brandenburg. Neben der absolut höchsten Bewertung zeichnet sich die Region dadurch aus, dass sie bei allen sieben Standortindikatoren positiv aufgefallen ist.“ Die Vorreiterrolle dieser Region für Deutschland insgesamt wird also nicht übersehen.
Auch der Forschungswelt entgehen diese Projekte und deren Wirkung nicht. So fand die von Neuland21 und dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung publizierte ´Studie Urbane Dörfer – Wie digitales Arbeiten Städter aufs Land bringen kann` große Beachtung in der Deutschen Presse und im November veröffentlichte die Genossenschaft Coworkland gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung eine umfassende Studie zum Thema Coworking im ländlichen Raum. Unser Tipp: Ein Reinlesen lohnt sich!
Herausforderungen bleiben dennoch
Das Netzwerk der Akteure und Initiativen rund um Coconat sehen die momentanen Herausforderungen insbesondere in den Bereichen Wohnen und Mobilität. Erreichbarkeit – digital wie analog – ist die große Voraussetzung und Herausforderung gleichermaßen, wenn es darum geht, noch mehr Orte für diese Arbeits- und Lebensformen zu begeistern. Das klassische Einfamilienhaus hat ausgedient und weicht innovativen Konzepten wie dem Kodorf, Coco Cabañas, Wohnprojekt Fläming, Hof Prädikow oder Heilort. Luft nach oben? Reichlich vorhanden. Barrieren sind wie so oft große bürokratische Aufwendungen z.B. im Kontext einer Revitalisierung der Ortskerne. Flächenumnutzung, ein neues Flächenmanagement und letztendlich auch der Denkmalschutz bieten oftmals (noch) keinen Raum für Expansion.
Eine weitere Herausforderung ist der Zugang ländlicher Gründer zu Kapital. Klassischen Investoren erscheinen die Projekte zu wenig gewinnorientiert. Lokale Banken und Sparkassen tun sich schwer, dieses neue Finanzierungsterrain zu betreten. Unterstützer für ungewöhnliche Ideen, oder neue Wege der Revitalisierung ländlicher Räume sind sehr rar. Kulturwandel beginnt wie immer auch hier im Kopf.
Aber ohne Optimismus geht es nicht
Der Bedürfnisse verändern sich, die Möglichkeiten der Umsetzung explodieren und das Konzept Coworking hat sogar in der Politik ihren Platz gefunden. Die Überzeugung, dass Coworkingstandorte als strukturfördernde Elemente in den ländlichen Räumen wichtige impulsgebende Beiträge für die Gesamtregion liefern können, ist längst bewiesen. Wo sie entstehen, entwickelt sich ein offenes und vielfältiges Gemeinschaftsleben, in dem jede*r ihren / seinen individuellen und kollektiven Visionen nachgehen kann, egal in welchem Bereich. Das Ziel ist ein inklusives und inspirierendes Umfeld für alle Menschen – auch über den eigenen Standort hinaus. Schauen Sie doch mal rein bei Coconat & Co und überzeugen Sie sich.
Von Marika Puskeppeleit und Janosch Dietrich.
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