Sozialer Kitt – Was hält uns als Gesellschaft zwischen Land und Stadt zusammen?

von Mareike Meyn

Foto: Justine Sina Edinger

Existieren Werte/Identitätsgräben zwischen Land und Stadt, die sich u.a. im Wahlverhalten widerspiegeln? Oder ist das ein Angstszenario, dass schon lange seine Runde macht? Was könnten Gründe für den Graben zwischen Land und Stadt sein? Und wie produziert man eigentlich diesen „sozialen Kitt“, der unsere Gesellschaft zusammenhält? – Ein Rückblick auf die Veranstaltung „Sozialer Kitt – Was hält uns als Gesellschaft zwischen Land und Stadt zusammen?“ in der Landesvertretung Brandenburg in Berlin.

Die Kommunal- und EU-Wahlen sind gelaufen und eine räumliche Polarisierung zwischen Land und Stadt ist zu erkennen. Doch nicht nur Wahlentscheidungen, sondern auch kritisch diskutierte Themen wie die Ausbreitung des Wolfes, fehlende Infrastrukturen oder die Verkehrs- und Energiewende werden im medialen Diskurs gerne als Symptome einer zunehmenden Spaltung zwischen Land und Stadt interpretiert. Anlass für uns, mal über den Zusammenhalt zwischen Land und Stadt zu sprechen und genau hinzuschauen, wie der soziale Kitt unserer Gesellschaft denn produziert wird.

Das Publikum der Veranstaltung war sich nicht einig bei der Frage, ob eine stärkere Entfremdung zwischen Bewohner:innen aus Land und Stadt zu beobachten ist. Prof. Dr. Lukas Haffert, Politologe und Autor von Stadt, Land, Frust – eine politische Vermessung arbeitete jedoch heraus, dass Stadt-Land-Gegensätze zunehmen und voraussichtlich weiter wachsen werden. Dabei wurde klar: Der geografische Kontext beeinflusst uns alle, egal ob auf dem Land oder in der Stadt lebend! Er beeinflusst welche Themen wir für wichtig erachten und damit auch unser Wahlverhalten. So gibt es Konfliktlinien zwischen Land und Stadt, die struktureller und kultureller Art sind, wie Einkommen, Infrastruktur, Wertvorstellungen oder Statusdenken. Die Betonung dieser Konfliktlinien weist großes Mobilisierungspotenzial auf und wird auch von Parteien und Medien genutzt. Hier zeigt sich laut Haffert, dass insbesondere jüngere Menschen die Polarisierung der Identitäten stärker wahrnehmen als Ältere.

Foto: Justine Sina Edinger

Kulturelle Polarisierung

Wahlentscheidungen hängen mit der Frage nach einer Zugehörigkeit zusammen, danach mit was oder welchem Ort man sich identifiziert. Stereotype Darstellungen des Dorfs als Gemeinschaft und der Stadt als kosmopolitischer, diverser Ort scheinen überholt. Dennoch berichtete Frank Schütz, Vorstand Dorfbewegung Brandenburg – Netzwerk lebendige Dörfer e.V. „Wir kommen uns manchmal wie ein Freiluftmuseum vor für Städter, die im Sommer mal rauskommen wollen.“

Ein geografisches Wir vs. die Anderen kann schnell konstruiert und zur politischen Mobilisierung genutzt werden.

 

Foto: Justine Sina Edinger

Strukturelle Polarisierung

Das Gefühl von Zusammengehörigkeit wird meist von Ungleichheiten in Frage gestellt. Hier spielen besonders ökonomische Unterschiede eine Rolle. So nimmt z.B. das Einkommensgefälle zwischen Ost-West seit den Nullerjahren zu. Weitere regionale Unterschiede sind z.B. Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Präsenz des demografischen Wandels oder die finanzielle Lage der Kommunen. Theresa Schmidt, Vorsitzende des Bundes der deutschen Landjugend (BDL) betonte auch die strukturelle Komponente der Diskussion um den Zusammenhalt: „Es braucht offene Ohren und ganz klar die wirkliche Umsetzung von Chancengleichheit. Nur mit Auto mobil zu sein oder meilenweit keinen Empfang zu haben, hängt uns ab!“

 

Poltische Repräsentanz

Strukturelle und kulturelle Polarisierungen greifen ineinander und verstärken sich ggf. noch. Lukas Haffert konstatiert: “Während die Vertiefung des Stadt-Land-Grabens in anderen Ländern mit einem politischen Gewichtszuwachs ländlicher Räume verbunden ist, hat das politische Gewicht ländlicher Räume in Deutschland abgenommen. Die ländliche Bevölkerung findet im politischen Betrieb wenig Beachtung!” – tatsächlich war das Thema politische Repräsentanz eines der wichtigsten innerhalb der Fish-Bowl-Diskussion. Dabei machte Haffert auch klar, dass die wachsende geografische Polarisierung des Parteiensystems gleichermaßen von Land und Stadt ausgeht.

Foto: Justine Sina Edinger

Der Lösungsraum: Wie wir Zusammenhalt produzieren

Dr. Friederike Haase, Staatssekretärin, Bevollmächtigte des Landes Brandenburg beim Bund betonte: “Im ländlichen Raum lebt man auch! Die Leute haben eine andere Wahrnehmung und Ernsthaftigkeit, da muss man genau zuhören und hingucken!”

Nicht nur zuhören und hingucken sind dabei wichtig, sondern auch anzupacken und Dinge umsetzen, wie es Theresa Schmidt beschreibt – das BDL-Motto 2024 „Hand in Hand“ kann hier ein Ansatz sein und gerade junge Menschen mobilisieren und Selbstwirksamkeit erfahrbar machen. Auch die Partizipationsmöglichkeiten innerhalb der Dorfbewegung Brandenburg wurden in der Diskussion als positives Beispiel für Engagement und Stärkung von ländlichen Gemeinden aufgeführt.

Dies waren nur einige der Ideen, die genannt wurden, um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu produzieren. Auf den Markt der Ideen präsentierten anschließend wichtige Projekte und Akteure wie sie den sozialen Kitt herstellen und Orte und Gelegenheiten schaffen, an denen auch gerade Selbstwirksamkeit erlebbar gemacht wird und der Austausch zwischen Land- und Stadtperspektiven erfolgt. Mit dabei waren:

Wir freuen uns über das große Interesse an der Veranstaltung und dem Themenkomplex, der sicherlich noch weiter zu beackern ist. Wer näher in die Aussagen von Prof. Dr. Lukas Haffert einsteigen möchte, kann auch ab Di, 09. Juli 2024 in unsere neue Folge unseres Podcast LandAussichten reinhören!

Die Autorin

Mareike Meyn

Geschäftsleiterin Entwicklung Ländlicher Räume

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