Timeout statt Burnout

von Matthias Mehner

„Stress ist unser ständiger Begleiter, solange wir leben. Er sitzt mit uns am Tisch und er geht mit uns schlafen. Manchmal geht uns seine Anhänglichkeit auf die Nerven; dennoch verdanken wir ihm jeden persönlichen Fortschritt und erreichen durch ihn immer höhere Stufen geistiger und körperlicher Weiterentwicklung. Er ist die Würze des Lebens!“ (Professor Dr. Hans Selye).

Stress kennt jeder. Für viele ist er ein ständiger Begleiter. Um mit ihm richtig umgehen zu können, muss man wissen, dass er ein zweischneidiges Schwert ist. Wenn wir in positiver Weise gefordert werden und Stress als Herausforderung begreifen, etwas Neues zu erschaffen, kann er ein sehr wichtiger Antrieb sein. Nur durch Stress sind wir in der Lage, über uns hinauszuwachsen und Höchstleistungen zu erbringen. Von der Herausforderung ist der Weg allerdings nicht weit zur Überforderung. Dann wird Stress negativ und er beansprucht die Kraft-Ressourcen eines Menschen über die Maßen.
Doch wie erkenne ich, wann ich herausgefordert und wann ich überfordert werde??
Grundsätzlich gehören zu unserer Belastbarkeit folgende Faktoren:

  • Persönlichkeit
  • Persönliche Prägungen und Lebenserfahrungen
  • Einstellung und Denk-Haltungen
  • Bewältigungsstrategien im Umgang mit hohen Anforderungen

Obwohl der Mensch von Natur aus gut auf Stress vorbereitet ist, sind nicht alle im gleichen Maße belastbar. Dieselbe Situation ruft bei verschiedenen Personen ganz unterschiedliche Reaktionen hervor. Der für 9:00 Uhr terminierte Tierarzt kommt spontan erst um 11:00 Uhr und bringt den Einen in Rage, da der ganze Tagesablauf durcheinander ist; der Andere „freut“ sich, dass er noch die Zeit für zwei andere wichtige Dinge im Büro oder Stall nutzen kann. Ein Großteil des Stress-Gefühls und wie stark Stress uns zu schaffen macht, hängt von unserer Persönlichkeit ab, die stressresistent oder stresssensibel sein kann. Dazu zählt z.B. wie hoch mein Bedürfnis ist, von anderen Menschen Anerkennung im Beruf oder im Privatleben zu erhalten. Wohlbefinden ist damit häufig ein Ergebnis wie leistungsfähig ich bin und wie sehr diese Leistung auch nach außen für andere sichtbar ist. Bei anderen wiederum ist der Anspruch an sich selbst sehr hoch. Es muss alles perfekt sein, „Fehler“ können schlecht akzeptiert werden und überhaupt: Nur wer viel arbeitet, schafft auch viel! Fremde Hilfe annehmen? Nein, das schaff ich schon alleine! „Streng Dich gefälligst an, denn ohne Fleiß keinen Preis!“. Oder hören Sie nicht auch manchmal Ihren Vater oder Ihre Mutter im Ohr: „komm beeil Dich“, „mach schneller“ oder „hör auf zu weinen“? Solche Bedürfnisse, „inneren Antreiber“ und Glaubenssätze sind Überzeugungen und Ansprüche an uns selbst, die uns meist schon vom Kindesalter an begleiten. Es sind unsere Prägungen, die wir aus der Erziehung und aus unserem frühen Umfeld mitbekommen haben. Diese Prägungen begleiten uns noch heute. An für sich sind sie positiv und halten uns auf Trab, doch wenn es brenzlig wird – unter Stress und Anforderung – können sie uns auch negativ beeinflussen bzw. übernehmen das Ruder bei unseren Handlungen. Wir verlieren dann häufig ein Maß dafür, was uns noch gut tut und wo Anforderung und eigenes Selbstmanagement uns überfordert und in Überlastung bringt oder sogar krank macht. Viel zu selten beschäftigen wir uns mit den „Erlaubern“. Dabei haben wir für Freunde oft eine gute Idee: „Achte auch auf Dich“, „Hol Dir Hilfe, das ist kein Zeichen von Schwäche“, „Lass mal 5 gerade sein“ oder „Mach mal Urlaub“. Überlegen Sie, an welchen Stellen Sie sich selber mehr dieser Erlaubnisse zusprechen können und vielleicht weniger getrieben und unter Zeitdruck die anliegenden Arbeiten auf dem Hof und im Büro erledigen können.

Zu unserer Persönlichkeit gehört auch unser Verhalten als Reaktion auf unsere Umwelt. Unser Verhalten ist meist an bestimmte Situationen – privat wie beruflich – angepasst und damit auch abhängig von bestimmten Rollen in unserem Leben – als Chef, als Ehepartner, im Sportverein oder im Kirchenvorstand. Können wir in den meisten Fällen unser Verhalten steuern und den Situationen anpassen, kommt es in stressigen Situationen doch wiederholt dazu, dass wir in ähnliche Verhaltensmuster verfallen. Mithilfe des persolog©-Verhaltensprofils lassen sich 4 Grundtypen unterscheiden:

  •  Der dominante Typ gibt gerne den Ton an und möchte die Kontrolle behalten. Seine positive Ergebnisorientierung kann unter Stress schnell autoritär und herrisch wirken und andere Beteiligte links liegen lassen. Außerdem kann er schlecht Hilfe annehmen.
  • Der initiative Typ ist kommunikativ und gesellig. Seine Begeisterungsfähigkeit und Dynamik kann unter Stress schnell dazu führen, dass 10 Dinge gleichzeitig angefangen werden, nichts wirklich zu Ende gemacht wird und vermehrt Flüchtigkeitsfehler auftreten.
  • Der stetige Typ ist beständig, geduldig und sozial. Sein großes Harmoniebedürfnis und ständige Hilfsbereitschaft steht ihm jedoch im Weg beim „Nein“-Sagen und „Sich abgrenzen“. Im Stressfall wird versucht es verstärkt allen anderen und nicht sich selbst recht zu machen.
  • Der gewissenhafte Typ ist detailorientiert und analytisch. Das hohe Qualitätsbewusstsein führt unter Stress jedoch zu Perfektionszwang, alles muss dreimal kontrolliert werden und wird damit entsprechend umständlich und langsam.

Diese vier beschriebenen Verhaltenstypen sind bei jedem Menschen unterschiedlich stark vertreten und doch erkennen Sie sich vielleicht auch in einem oder zwei davon wieder. Die Kenntnis über unsere Verhaltensgewohnheiten hilft uns selbst zu erkennen, wie wir üblicherweise in unerwarteten oder stressigen Situationen reagieren und damit ist ein erster Schritt für Gegenmaßnahmen schon erfolgt.

Neben diesen Prägungen und Verhaltensmustern kommt dann eine Einstellung und Denkhaltung dazu, die auch aus eigenen Erfahrungen im Leben bestimmt wird. „Ist das Glas halbvoll oder halbleer?“. Sehe ich Veränderungen als positive Herausforderung oder als Bedrohung? Und neige ich dazu mir mit negativen Gedanken das Leben manchmal selber schwer zu machen? Wer seine negativen Gedanken verändern möchte, kann sich selbstkritisch die eigenen Stress erzeugenden oder verstärkenden Einstellungen und Bewertung vor Augen führen und sie dann Schritt für Schritt verändern. Dazu zählt, dass man sich des Gelungenen bewusst wird. Darüber hinaus gilt: Wer weniger feste Erwartungen an andere hat, wer akzeptiert, dass etwas ist, wie es ist und wer Negatives loslassen kann – der erlebt weniger Stress und mehr Lebensqualität.
Wenn ich nun also weiß, wie ich gestrickt bin und wie ich auf Stressoren, also innere und äußere Faktoren, die Stress verursachen, reagiere, dann bin ich schon einen guten Schritt weiter, um Stress zu vermeiden und eine ausbalancierte Lebensqualität zu erreichen.
Nossrat Peseschkian, ein deutscher Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut und Begründer der positiven Psychotherapie hat herausgefunden, dass Menschen zufrieden und gelassen sind, wenn sie ein individuell ausgewogenes Verhältnis von 4 Lebensbereichen verwirklichen können. Dieses Modell ist die Grundlage, um sich vor Augen zu führen in welchen Lebensbereichen ich gut oder weniger gut aufgestellt bin:

  1. Arbeit und Leistung:
    Habe ich einen stimmigen Beruf bzw. interessante Tätigkeiten, die meinen Fähigkeiten gerecht werden und wo ich angemessenen Erfolg (Ansehen, Anerkennung, Geld, Absicherung) habe?
  2. Soziale Kontakte und Beziehungen:
    Bin ich gut eingebunden mit meiner Familie, meinen Freunden, meinen Kollegen und Nachbarn?
  3. Körper und Gesundheit:
    Habe ich genügend Bewegung, gesunde ausgewogene Ernährung und Schlaf? Und biete ich meiner Seele einen Körper, in der sie Lust hat zu wohnen?
  4. Sinn- und Zukunft:
    Kann ich nach meinen eigenen Werten leben? Kann ich mich selbst verwirklichen? Und kenne ich meine persönlichen Ziele, die ich im Leben noch erreichen will? Habe ich genügend Ausgleich für Hobby und Entspannung?

Fragen Sie sich zu jedem einzelnen Bereich: Wie gut bin ich hier aufgestellt? Dabei ist klar, es gibt keine rezeptartige Idealverteilung. Jede Lebensphase benötigt außerdem andere Schwerpunkte in unterschiedlichen Lebensbereichen. Mit kleinen Kindern steht die Familie mehr im Mittelpunkt; in jungen Jahren wird vielleicht Arbeit und Leistung in den Mittelpunkt gestellt, während in reiferen Lebensphasen Beziehungen und Sinn wichtiger sind. Für dauerhafte Zufriedenheit und Gesundheit sollte man jedoch keinen Lebensbereich zu lange aus den Augen verlieren, denn verpasste Gelegenheiten lassen sich nicht zurückholen. Wichtig ist es, sich bewusst zu entscheiden und nicht getrieben zu werden und im Rad des Lebens zu rotieren.

Unter Berücksichtigung dieser genannten Aspekte lassen sich folgende 7 goldene Regeln für die eigene Lebensqualität aufstellen:
1. Wer Menschenkenntnis hat, ist klug- wer Selbstkenntnis besitzt, ist weise.
2. Nimm Dir immer wieder Zeit innezuhalten und durchzuatmen.
3. Besinne Dich auf die positiven Ereignisse und akzeptiere, was unveränderbar und nicht in Deinem Einflussbereich ist.
4. Behalte Deine Lebensbereiche im Blick, achte auf Balance und entscheide Dich bewusst.
5. Im gesunden Maß „Nein“-Sagen ist oft ein „Ja“ zu Dir selbst.
6. Dankbarkeit und Humor, Mut und Ehrlichkeit , Geduld und Vertrauen – der Cocktail für mehr Gelassenheit.
7. Nachsichtigkeit zu sich und anderen zu sein, ist ein guter Anfang.

Der wahrscheinlich allseits bekannte und gleichzeitig immer wieder gut passende Sinnspruch für Gelassenheit, der Reinhold Niebuhr, einem amerikanischem Philosoph, zugeschrieben wird:

„Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden.“

Der Autor

Matthias Mehner

Geschäftsleiter agrarcampus

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